Ableismus, FLINTA, Klassismus, Othering, woke – nein, wir werfen in diesem Beitrag nicht wild mit neuen und unbekannten Wörtern um uns. Im Gegenteil, in dem Buch, das wir Ihnen vorstellen, sind einhundert Wörter ordentlich alphabetisch sortiert. „Vielfalt. Das andere Wörterbuch“ ist 2023 im Duden-Verlag erschienen, kostet 28 Euro und steht seit Kurzem auch in unserem Bücherregal. Warum, sagen wir Ihnen in diesem Beitrag.
Das erfahren Sie in diesem Beitrag
Warum ein Wörterbuch über Vielfalt?
Sprache entwickelt sich ständig weiter. So nahm der Duden-Verlag in die 28. Auflage des Duden 3.000 neue Wörter auf. Apropos, könnte man dann nicht einfach im Rechtschreib-Duden nachsehen, wenn man nicht weiß, was beispielsweise FLINTA bedeutet? Oder im Internet? Benötigt man dafür ein weiteres Buch?
Könnte man natürlich. Allerdings würde man im Duden nur sehr knappe Definitionen bekommen. Bei der Recherche im Internet würde man von der Fülle der Ergebnisse zurückschrecken und müsste zudem die Quellen prüfen. Da greifen wir doch lieber direkt zum Fachbuch. Wir könnten natürlich auch diejenige befragen, die im Duden-Verlag diese Publikation betreut hat: Dr. Kathrin-Kunkel-Razum.
Dr. Kathrin Kunkel-Razum leitet seit Januar 2016 die Duden-Redaktion und ist für das gesamte Wörterbuch- und Grammatikprogramm verantwortlich. Sie ist zudem Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung.
Danke, dass Sie uns drei Fragen beantworten. Unsere erste lautet: Warum sollte man „Vielfalt“ lesen?
Dr. Kathrin Kunkel-Razum: Weil man viel über Lebensentwürfe, unsere Gesellschaft und über Sprache, z. B. neue Wörter, lernt. Weil 100 Autor*innen in diesem Buch vereint sind. Weil jeder Beitrag ein Spannungsfeld aufzeigt zwischen einer kurzen, knappen Duden-Definition eines Wortes und dem persönlichen, ausführlicheren Blick der Schreibenden auf ihr jeweiliges Wort. Und letztlich auch, weil es so viele Anregungen zum Weiterlesen gibt.
Wertvoll fanden auch wir, dass in „Vielfalt“ Personen zu Wort kommen, die sich mit dem jeweiligen Begriff schon lange auseinandergesetzt haben; teilweise aus eigener Erfahrung. Die Lesenden profitieren dabei von einer Innensicht und können sich leicht und lesend außerhalb der eigenen Filterblase fundiert informieren.
Worum geht es in „Vielfalt“?
Einhundert Begriffe werden auf je auf einer Doppelseite erläutert, jeweils von einer Person, die meist auch eine private oder berufliche Verbindung zu diesem Begriff hat. Alle Begriffe stehen unter dem Dach der Vielfalt: beginnend mit Ableismus und endend mit Zionismus.
Zuweilen erscheint die Auswahl der Begriffe willkürlich zu sein. Biodiversität hätten wir nicht zwingend erwartet, erschließt sich aber natürlich. Das Stichwort Internet benötigt einen gedanklichen Weg. Der endet dort, dass man durch das Internet in Lebenswelten blicken kann, die man nicht zwingend sieht und so vorhandene Vielfalt sichtbar gemacht wird.
Der Vielfalt der Schreibenden ist es geschuldet, dass nicht nur die Themen, sondern auch die Texte vielfältig sind: immer informativ, meist spannend zu lesen, weil manchmal die persönliche Geschichte durchschimmert. Stichwort: Innenansicht.
Letztlich bietet dieses Buch sachliche Orientierung in einer Zeit, in der scheinbar sehr viele neue und unbekannte Begrifflichkeiten in unseren Alltag kommen – und man manchmal nicht weiß, ob dieses oder jenes Wort das richtige ist.
Wem empfehlen wir dieses Buch?
Im Grunde empfehlen wir „Vielfalt“ allen Menschen, die sich offenen Herzens in unserer Gesellschaft bewegen – Wissen ist immer gut.
Wir empfehlen es auch den Menschen, denen der Kontext zu den verschiedenen neuen Begriffen und Entwicklungen fehlt, die unsere Gesellschaft in den letzten Jahren geprägt haben.
Schließlich meinen wir auch, dass „Vielfalt“ als Nachschlagewerk in der Unternehmenskommunikation seinen Platz hat.
Wir möchten nochmals Frau Dr. Kunkel-Razum zu Wort kommen lassen: Wem empfehlen Sie „Vielfalt“?
Dr. Kathrin Kunkel-Razum: Ich könnte es kurz machen und sagen: allen. So ist es auch, aber die besondere Empfehlung geht an Menschen, die neugierig sind, die wissen möchten, welche Vorstellungen andere Menschen vom Leben haben, oder die über die Möglichkeiten von Sprache nachdenken möchten.
„Vielfalt“ ist eine Schatzkiste
Sehr begeistert hat uns die Verbindung vom Buch zum Internet. „Vielfalt“ bietet über eintausend Quellen und Medientipps. Diese sind auf der Website vielfalt.link/ gesammelt. Um zur jeweiligen Quelle zu gelangen, gibt man nach dem Slash entweder die entsprechende Zahl oder Buchstabenkombination ein. Bei der Eingabe von Buchstaben ist es wichtig, Großbuchstaben einzugeben.
Frau Dr. Kunkel-Razum, eine Frage interessiert uns im beruflichen Kontext. Wie schwierig war es, die Redaktion für „Vielfalt“ innezuhaben, was war dabei die größte Herausforderung?
Dr. Kunkel-Razum: Redaktionell gab es die unterschiedlichsten Herausforderungen, von denen viele ja auch der Herausgeber, Sebastian Pertsch, gemeistert hat. Für mich war in dieser Hinsicht am spannendsten und am herausforderndsten, mit den zum Teil vehement vorgetragenen Forderungen an die rechtschreiblichen Regeln umzugehen, wir sprechen schließlich über ein Duden-Buch. Viele Autor*innen wünschten sich bestimmte Schreibungen, z. B. nicht-binär, die in ihrer Community bevorzugt werden, aber vom Amtlichen Regelwerk (ARW) nicht abgedeckt sind. Die Diskussion begann natürlich schon beim Einsatz von Genderzeichen, die ja vom ARW auch nicht vorgesehen sind. Wir haben uns trotzdem für die Verwendung des Sternchens entschieden, weil es uns in diesem Buch nur durch ein solches Zeichen möglich schien, wirklich alle anzusprechen.
Herzlichen Dank, Frau Dr. Kunkel-Razum, für Ihre Zeit und Ihre Antworten!
Das Buch „Vielfalt. Das andere Wörterbuch. 100 Wörter – 100 Menschen – 100 Beiträge“ ist 2023 im Duden-Verlag erschienen. Es kostet 28 Euro, ist im Duden-Shop oder in Ihrer Buchhandlung erhältlich.